Lübeck war schon vor dem Ausbruch der Coronapandemie kein LSBTIQ*-Hotspot mehr. Die letzte Bar, die queeres Publikum ansprach, schloss 2016. Andere Angebote muss man mit der Lupe suchen, zudem scheint die Community zersplittert und ins Internet zurückgezogen. Diese Situation hat Corona noch verschärft und queeres Leben gänzlich ins Private zurückgedrängt. Mit dem Auftauchen des Virus in Europa und den notwendigen Maßnahmen zur Eindämmung schlossen nicht nur Bars, Restaurants und Clubs, auch die Treffpunkte, Gruppenangebote und Beratungsstellen der LSBTIQ*-Gemeinschaft mussten ihre Arbeit einstellen bzw. ins Internet verlagern. Auch der Lübecker CSD e.V. sagte seine regelmäßigen Veranstaltungen ab, beendetet die Queer Cinema - Saison vorzeitig, stellte den beliebten Spieleabend ein und setzte alle öffentlichen Aktivitäten aus. Ähnliches spielte sich bei der AIDS-Hilfe und in der Jugendarbeit ab.
„So what? Wir können doch mal auf Mau-Mau oder die große Leinwand verzichten?“ Darauf schon, aber diese Termine sind mehr als bloßes Beisammensein. Sie sind reale Frei- und Schutzräume. Nicht selten machten Menschen bei uns ihre ersten öffentlichen Gehversuche in der eigenen sexuellen und/oder geschlechtlichen Identität, erlebten ein akzeptierendes Umfeld, bekamen Antworten auf Fragen, die sie in Familie, Schule oder Freundeskreis nicht stellen können und erlebten dabei ein „Ich bin nicht allein“ - Gefühl.
Gravierende Auswirkungen hat der Lockdown auch auf das Leben von vielen Trans* und nicht-binäre Menschen in Lübeck und Schleswig-Holstein. Sie sind generell häufiger von sozialer Isolation betroffen und besonders auf psychosoziale sowie medizinische Versorgung angewiesen. Viele Angebote, Arzttermine und Sprechstunden mussten jedoch verschoben oder abgesagt werden. Das betrifft insbesondere auch geschlechtsangleichende Operationen, auf die Betroffene nicht selten deutlich länger als ein Jahr warten.
Sichtbarkeit, eine der wirksamsten Maßnahmen für die Akzeptanz von LSBTIQ* Menschen in der Gesellschaft, spielt sich seit März nur in den eigenen vier Wänden oder online in der eigenen Filterblase ab, wenn dies die Lebensbedingungen, die Familie oder Mitbewohner:innen überhaupt zulassen. Die Pandemie hat nicht nur die Planungen für den Christopher Street Day 2020 in Lübeck durchkreuzt, sondern auch schwere Folgen für die öffentliche Wahrnehmung von LSBTIQ* Menschen. Nicht selten hören wir wieder „Als ob wir gerade keine anderen Probleme hätten…“ und die Belange der Community drohen mit Verweis auf Wirtschaftskrise, Kurzarbeit und Neuverschuldung hintenangestellt zu werden.
Während die Angebote in der AIDS-Hilfe und der Jugendarbeit langsam wieder hochfahren, ist es unsere gemeinsame Aufgabe die verblassende Sichtbarkeit von LSBTIQ*-Menschen und der queeren Gemeinschaft in der Öffentlichkeit auch außerhalb von OnlineCSDs zu stärken. Wir werden - unter den gegebenen Bedingungen - unser Möglichstes tun und am 15. August wieder „Pride“ in die Hansestadt zaubern. Mit euch kommen Vielfalt, Selbstbewusstsein und Farbe hinzu. Lasst den CSD 2020 wirken, bis wir 2021 wieder richtig auf die Straße gehen können, denn Stonewall war kein Livestream.
Happy Pride!
Das Team des Lübecker CSD e.V.
